Die BerufsausbildungIm April 1964 begann ich meine Berufsausbildung,
die "Lehre", wie man sie damals nannte, als Konditorin. Mein Lehrherr
war der Konditormeister Robert Böhncke, Firmenchef des legendären und
renommierten Cafe Böhncke, Marktstraße 48 in Simmern im Hunsrück.

Weit über den Hunsrück hinaus war die Konditorei
Böhncke durch ihre erstklassigen Konditorei- Spezialitäten bekannt. Schon als
kleines Kind durfte ich mit der Oma das Café Böhncke aufsuchen und
wurde dort mit einer Tasse Schokolade und einem leckeren Blätterteigstückchen
verwöhnt. Das vornehme, elegante Café mit behaglicher Atmosphäre, das ein
riesiges Buntglasfenster mit herrlichen Motiven vorzeigte, zog mich schon damals in seinen Bann.


Und dann erst das Naschwerk und der Duft, der durch das
Café strömte und zu Ostern, die Riesentreppe aufgebaut im Café, zugestellt mit
Süßigkeiten, herrlichen Ostereiern aus Schokolade mit Pralinenfüllung und
Seidenschleifen, dazu eine Osterhasenriege in allen erdenklichen Formen
und Größen. So konnte es gar nicht anders sein, ich wollte unbedingt den, für
mich faszinierenden, Beruf des Konditoren erlernen.
Zu meiner Ausbildungszeit war der Konditorenberuf noch
eine Männerdomäne. "Lehrjahre sind keine Herrenjahre", höre ich heute noch
meinen Vater sagen. Die
Freude am kreativen und vielfältigen Arbeiten, hat mich die oftmals anstrengende
Arbeit in der Konditorei, mit Leichtigkeit überwinden lassen. Zu Beginn meiner
Lehre waren neben dem Chef und seinem Schwiegersohn noch ein Meister, ein
Geselle und zwei Lehrjungen im 2. und 3. Ausbildungsjahr beschäftigt. Der
Wettstreit und Konkurrenzkampf der Lehrlinge untereinander forderte den Ergeiz
und das Durchsetzungsvermögen. Alle Lehrlinge aus dem Hause Böhncke haben mit
besten Prüfungsnoten bei Gesellenprüfungen abgeschnitten. Das hat man schon im
ersten Lehrjahr mitbekommen und spornte ungeheuer an.
In der
Vorweihnachtszeit, wurden in der Konditorei Unmengen Marzipanartikel
hergestellt, hauptsächlich aber Marzipanobst. Fasziniert schauten wir Lehrlinge
zu und bekamen so manche Lehrstunde, die Kunst zu modellieren und mit den Farben
umzugehen. Zur Aushilfe kam dann ein älterer Herr, der ehemalige Konditormeister
Philipp Hanzo. Herr Hanzo malte aus Leidenschaft. Die Hunsrückzeitung verfasste
1990 einen Artikel über ihn, den ich ihnen nicht vorenthalten möchte.
Von der Backstube zur
>>brotlosen<< Kunst
Konditormeister Philipp Hanzo, mit 97Jahren der älteste Maler vom
Hunsrück. Er hätte gerne die Akademie besucht, aber nach der
Erfindung der Fotografie galt die Malerei als brotlose Kunst. In der Konditorei
seines ältesten Vetters (Böhncke) in Simmern entdeckte der junge Kreuznacher
Hanzo, dass man auch als Konditor bildende Kunst betreiben kann - und er wurde
Konditor. An Pralinen, Torten und vor allem süßem Weihnachtsbaumschmuck konnte
der junge Konditor sich künstlerisch- schöpferisch betätigen und stieg zum
Meister in einer renommierten Hamburger Patisserie auf. Nach Schaffung der neuen
Währung im Dezember 1923 beschloss er, sich selbständig zu machen. Mit neunzig
Mark Startkapital begann er in seiner Geburtsstadt Bad Kreuznach an einem
Montag, haltbare Kekse zu backen und sie entsprechend zu verpacken. Am darauf
folgendem Samstag ging er damit von Bäckerei zu Bäckerei und verkaufte seine
Produkte. Siebzig Mark waren die erste stolze Einnahme. Bald sprach sich die
Qualität seiner Kekse, Torten und Eiskreationen herum, und er belieferte die
Kaffeevisiten der Bad Kreuznacher Prominenz. An Hutzucker versuchte sich Hanzo
als Bildhauer - das Foto eines seiner süßen Monumente beweist sein Können. Als
Fünfzigjähriger musste Hanzo seinen Beruf aus Gesundheitsgründen aufgeben und
wohl auch, weil 1943 im Krieg Material und Nachfrage fehlten. Er zog wieder nach
Simmern und begann nun, als Maler den Hunsrück zu erobern. Zahlreiche Ölbilder
und vor allem Aquarelle realistisch dargestellter Landschaften und Blumen hängen
an den Wänden seiner Wohnung. 24 seiner Hunsrückbilder kann man im Museum in
Simmern betrachten. Zwei Aquarelle von der Stephanskirche Simmern die vorerst
letzten Werke des Künstlers, der bedauert dass > die Augen nicht mehr mitmachen
wollen <.
1995 verstarb der Konditormeister und Hunsrückmaler in
einem betagten Alter von 102 Jahren.
Im Jahr 1967, als 17 jährige Konditorin bestand ich die
Gesellenprüfung mit dem Prädikat "sehr gut" vor der Handwerkskammer in Koblenz.
Prüfungsarbeiten
zur Gesellenprüfung
Die Arbeiten wurden in der
Handwerkskammer Koblenz dem Prüfungsausschuss zur Benotung vorgestellt.
Dazu musste noch eine Buttercremetorte in einer fremden Konditorei
gefertigt werden. Meine Cremetorte stellte ich im ehemaligen Café Bülles
in Koblenz her.

Prüfungstorte:
Geburtstagstorte, mit Marzipan eingedeckt,
Dekor: Zuckerschmetterling, Brandmassen- Ornament, stilisierte
Blüte, mit Stiel und Blatt, Randgarnierung und Schrift.
Weitere Prüfungsarbeiten:
Windbeutel, Eclairs, Mohrenköpfe,
Pasteten, Teegebäck, Makronengebäck, Petit Fours, Käsekuchen, Prüfungstorte, schweres
Plundergebäck, Engl. Fruchtkeks eingeschlagen in Mandelbiskuit.
Am Tage der Gesellenprüfung stand mein Entschluss fest, die
Meisterprüfung sollte mein nächstes berufliches Ziel sein. Darauf folgten drei Gesellenjahre, mit viel praktischem und
theoretischem lernen.

Handschriftliches Zeugnis
von meinem ehemaligen Lehrmeister
Robert Böhncke.
In diesen drei Jahren habe ich für kurze Zeit in der
bekannten Konditorei Heinemann in
Mönchengladbach meine Kenntnisse erweitern dürfen. Konditormeister Heinrich Heinemann war
damals Präsident des Deutschen Konditorenbundes und Herausgeber der
Fachzeitschrift "Die Konditorei". Ich arbeitete überwiegend in der
Marzipanabteilung und kurze Zeit in der Pralinenabteilung. In bester Erinnerung habe
ich noch "Gladbacher Knöp", eine Spezialität aus dem Hause Heinemann. Bis Juli
1970 war ich dann noch mal in meinem ehemaligen Ausbildungsbetrieb als Gesellin
tätig.
Nach dem versterben von Konditormeister Robert Böhncke, übernahm seine Tochter Agathe (Böhncke) Knau mit ihrem Ehemann
Wilfried Knau das Café. Herr Knau hatte 1965 an der Kölner Handwerkskammer
seine Konditormeisterprüfung abgelegt. Frau Knau war schon immer neben ihrer
Mutter die uneingeschränkte Chefin des Cafés, im Hause Böhncke. Die Damen
Böhncke/ Knau prägten mit Ihrem freundlichen und visiertem Auftreten das vornehme
Ambiente des Cafés. Der älteste Sohn der Familie Knau, Johannes lernte, - wie konnte es
anders sein - Konditor und hat im Jahr 1986 an der Kölner Handwerkskammer
seine Konditormeisterprüfung bestanden.
Im Jahr 1992 musste das Café Böhncke leider aus
gesundheitlichen Gründen geschlossen werden. Diese Nachricht machte mich
zutiefst betroffen. Mit der Schließung des Café Böhncke ist eine Ära zu Ende
gegangen und die Region im Hunsrück, um ein Traditionshaus ärmer geworden.

Die ehemaligen Gäste des Café Böhncke erinnern sich
noch heute gerne an die Köstlichkeiten, die sie bei gepflegter Gastlichkeit
genießen durften.